Lesen Sie die englische Übersetzung: Lifesaving Use of Crystalloids and Colloids
Einleitung
Der Körper besteht aus 50-70% Wasser. Wasser ist nötig, um lebenswichtige Nährstoffe und Sauerstoff zur Zelle zu transportieren, Abbauprodukte abzutransportieren und den Elektrolythaushalt zu regulieren. Tiere mit akuten oder chronischen Erkrankungen können verschiedene Formen von Flüssigkeitsdefiziten aufweisen. Anhand des Flüssigkeitsdefizites sowie der klinischen Symptome kann die Infusionstherapie für jeden Patienten gemäss den vorhandenen Defiziten erfolgen.
Physiologische Grundlagen
Der Körper besteht aus drei Flüssigkeitskompartimenten. Der intrazelluläre Raum macht 2/3 oder 66% des Körperwassers aus. Der extrazelluläre Raum (34%) wird zusätzlich aufgeteilt in den interstitiellen (25%) und den intravaskulären Raum (9%). Wasser kann zwischen allen Kompartimenten frei diffundieren, während Elektrolyte nur durch die Gefässmembran diffundieren können und Makromoleküle gar nicht permeabel sind. Wasser verteilt sich in den verschiedenen Kompartimenten aufgrund des hydrostatischen, osmotischen und kolloid-onkotischen Druckes.
Bei der Interpretation des Wasserhaushaltes eines Patienten kann zwischen der Perfusion (Durchblutung, intravaskulärer Raum) und dem Hydratationsstatus (Interstitium) unterschieden werden. Je nach Flüssigkeitsdefizit kann ein Tier über- oder unterperfundiert (Schock) sein, dehydriert oder überhydriert (sichtbar als Ödem) oder beides sein. Ein Perfusionsdefizit ist mit einer verminderten Sauerstoffversorgung des Körpers verbunden und deshalb lebensbedrohlich. Aufgrund der Ursache sowie der pathophysiologischen Veränderungen wird zwischen hypovolämischem, obstruktivem, distributivem oder kardiogenem Schock unterschieden. Alle Schockursachen -ausgenommen der kardiogene Schock- werden mittels Flüssigkeitstherapie behandelt.
Schock
Klinische Symptome
Klinische Parameter von Schock sind abhängig vom Schockstadium sowie der Schockart (Tabelle 1). Während der initialen kompensatorischen Phase können Tachykardie, rote Schleimhäute, eine kurze kapilläre Füllungszeit (KFZ) und ein normaler bis erhöhter Blutdruck gesehen werden. Durch die Zentralisierung kommt es zu Minderdurchblutung von Haut, Muskulatur, Darm und Nieren, was zu einem dekompensierten Schock führt. Klinisch zeigt sich ein früh dekompensierter Schock mit Tachykardie, blassen Schleimhäuten, verlängerter KFZ, kühlen Akren, verminderter Urin produktion und normalem bis tiefem Blutdruck. Ein spät dekompensierter Schock mit Bradykardie, weissen Schleimhäuten, nicht messbarer KFZ, kalten Akren und Hypotension kann meist nicht mehr erfolgreich behandelt werden. Beim distributiven Schock können die klinischen Zeichen der Zentralisation nicht gesehen werden, da die Ursache des Perfusionsdefizites eine Vasodilatation ist, was zu geröteten Schleimhäuten mit variabler KFZ führt.
Tabelle 1: Schockstadien
Parameter
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Kompensiert
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Früh-dekompensiert
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Spät-dekompensiert
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Herzfrequenz
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Tachykardie
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Tachykardie
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Tachykardie Bradykardie
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Pulsstärke
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Pochend
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Schwach
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Schwach
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Schleimhautfarbe
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Gerötet
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Blass
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Weiss-grau
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KFZ
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< 1 Sek
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>2 sek
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>3 sek
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Blutdruck
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Normal-erhöht
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Normal-erniedrigt
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Hypotension
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Bewusstsein
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Normal
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Apathie
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Apathie
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Periphere Temperatur
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Normal
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Beginnende Hypothermie
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Hypothermie, kalte Akren
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Urinproduktion
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Normal
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Erniedrigt
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Erniedrigt
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Therapie
Flüssigkeitstherapie zur Wiederherstellung des intravaskulären Volumens (Ausnahme kardiogener Schock), Blutungskontrolle, Sauerstoffsupplementierung und Analgesie sind die Hauptkomponenten der Schockbehandlung.
Flüssigkeitstherapie
Da die Perfusion lebenswichtig ist, um die Zellen mit Sauerstoff zu versorgen, muss ein Perfusionsdefizit so schnell wie möglich ersetzt werden. Die Art und die Menge der zu applizierenden Infusionslösung zur Aufrechterhaltung des Flüssigkeitshaushaltes ist abhängig von der Lokalisation und vom Schweregrad des Flüssigkeitsdefizites. Perfusionsdefizite müssen intravaskulär aufgefüllt werden. Eine weitere Vorraussetzung für die Behandlung von Perfusionsdefiziten ist die Gabe von Infusionslösungen, die den intravasalen Raum auffüllen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten an Infusionslösungen, die diese Bedingung erfüllen: grosse Mengen isotoner Kristalloide, isotone Kristalloide in Kombination mit Kolloiden, hypertone kristalloide Lösungen in Kombination mit Kolloiden, und Blutprodukte.
Die Kombination von kristalloiden (zB. Ringer-Laktat) und kolloidalen (zB. Haes, Voluven®) Infusionslösungen erlaubt die schnellste und am längsten wirksame Therapie von hypovolämischem Schock. Kolloide bleiben aufgrund ihrer Molekülgrösse im Gefässsystem und ziehen Wasser an resp. halten die kristalloide Lösung länger im Gefäss. Isotone kristalloide Lösungen wie Ringerlaktat verteilen sich im ganzen Extrazellulärraum und nur ¼ der applizierten Menge ist nach 2 Stunden noch intravaskulär verfügbar. Diese Infusionslösungen eignen sich deshalb sehr gut für die Rehydrierung von Patienten, die sowohl im Schock als auch dehydriert sind (zB. Akute Gastroenteritis). Traumapatienten sind in den meisten Fällen nur hypovolämisch und haben keine vorbestehenden Flüssigkeitsdefizite, weshalb die Kombination von Ringerlaktat mit Haes vorzuziehen ist. Da der genaue Flüssigkeitsverlust im Schock nicht bestimmbar ist, wird die geschätzte Menge an Infusionslösungen mittels Bolustherapie verabreicht. Ein erster Bolus von 20 ml/kg (Hund) resp. 10 ml/kg (Katze) kristalloider Lösung (Ringerlaktat) und ein Bolus von 10 ml/kg (Hund) resp. 5 ml/kg (Katze) Kolloid (Haes, Voluven®) wird intravenös über 10-15 Minuten verabreicht. Je nach Schockart, -ursache und -ausmass wird dieser Bolus resp. Teile davon mehrmals wiederholt. Wichtig ist, dass die Boli so schnell wie möglich gegeben werden (Schock = Sauerstoffmangel!). Einzig bei Verdacht auf innere Blutungen, Lungenkontusionen und bei Hypothermie (Katzen!) sollte eine vorsichtige Flüssigkeitstherapie erfolgen, hier werden die Boli etwas kleiner gewählt (5-10 ml/kg Ringerlaktat und 3-5 ml/kg Haes) und der Patient wird sehr genau beobachtet. Diese konservative Flüssigkeitstherapie wird als "Limited fluid volume resuscitation" bezeichnet, das Ziel ist hier eine gerade genügende Perfusion, das heisst ein mittlerer Blutdruck von 60 mmHg, um eine überinfusion und erneute Blutung zu vermeiden.
Die Sauerstoffversorgung des Gewebes hängt nicht nur von der Perfusion und von der Sauerstoffsupplementierung ab sondern auch vom Hämoglobin, welches den Hauptteil der Transportkapazität ausmacht. Bei massiven Blutungen sind unter Umständen Bluttransfusionen oder Blutersatzprodukte wie Oxyglobin® zur Aufrechterhaltung der Sauerstofftransportkapazität erforderlich. Bei akuter Blutung sollte Hämoglobin in Form von Vollblut, EC-Konzentrat oder Oxyglobin® bei einem Hkt < 20% substituiert werden. Das Ziel der Transfusionstherapie ist ein Hkt von 25-30%, da dann die Rheologie des Blutes am idealsten ist. Mit Vollblut braucht es 2 ml/kg Körpergewicht, um den Hkt um 1% zu heben, mit EC-Konzentrat sind es 1-1.5 ml/kg/%Hkt. Vor der Gabe von Blutproduktion sollte ein Kreuztest durchgeführt werden.
Im Falle von Gerinnungsstörungen, sei es durch ein primäres Problem (massive Blutung), Komplikationen (DIC, Sepsis) oder Verdünnung (massive Infusionstherapie), wird Plasma in einer Dosierung von 8-15 ml/kg so schnell wie nötig infundiert.
Hypertone Kochsalzlösung (4ml/kg über 5-10 Minuten, einmalige Gabe) wird zu einer sehr schnellen Umverteilung von Wasser aus dem interstitiellen Raum in den intravaskulären Raum führen, und das Blutvolumen schnell und effektiv erhöhen, allerdings dauert dieser Effekt nur 15-20 Minuten an. Der Effekt der hypertonen Kochsalzlösung kann mit gleichzeitiger Gabe von Haes oder Dextran verlängert werden. Da das Interstitium bei der Applikation von hypertoner Kochsalzlösung dehydriert wird, müssen diese Patienten danach unbedingt mit einer isotonen Lösung wieder rehydriert werden.
Ziel der Schocktherapie
Nach jedem Bolus Infusion werden die klinischen Parameter der Perfusion (Schleimhautfarbe, kapilläre Füllungszeit, Herzfrequenz, Pulsstärke, Urinproduktion) neu evaluiert und die Bolustherapie wird wiederholt bis die Perfusion normal ist. Auf diese Art und Weise kann die optimale Menge Infusionslösung gegeben werden.
Dehydratation
Klinische Symptome
Der Grad der Dehydratation kann aufgrund von Anamnese, Trockenheit der Schleimhäute sowie dem Hautturgor geschätzt werden (Tabelle 2).
Tabelle 2: Evaluation der Dehydratation
2-4%
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Anamnestisch Flüssigkeitsverlust (Erbrechen, Anorexie)
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5-7 %
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Trockene Schleimhäute, normaler Hautturgor
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8-10%
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Klebrige Schleimhäute, lgr verminderter Hautturgor
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>10%
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Zusätzlich eingesunkene Augen, stehende Hautfalte
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Flüssigkeitstherapie
Anhand der geschätzten Prozentzahl wird das Defizit errechnet: Defizit in ml = % Dehydratation x kg Körpergewicht x 10. Das Flüssigkeitsdefizit befindet sich interstitiell und kann entweder subkutan oder intravenös aufgefüllt werden. Da die intravenöse Applikation der Flüssigkeit Zeit braucht, um ins Interstitium zu diffundieren, wird das errechnete Defizit über 6-12 Stunden appliziert. Zusätzlich zur Rehydrierungsrate wird die Erhaltungsdosis (2-3 ml/kg/h) sowie die noch zu erwartenden Verluste (weiteres Erbrechen, Durchfall) dazugezählt. Da es sich bei Dehydratation um Verlust von isotoner Flüssigkeit (Wasser und Elektrolyte) handelt, wird eine isotone kristalloide Lösung zur Rehydrierung gewählt.
Weitere Infusionstherapie
Die weitere Infusionstherapie nach Schocktherapie und Rehydratation richtet sich nach den weiteren Verlusten über Magen-Darmtrakt, Nieren oder in Drittkompartimente, Hkt/TP respektive Albuminwerten. Tiere die nicht fressen und trinken benötigen mindestens die Erhaltungsdosis von 2-3 ml/kg/h an isotonen kristalloiden Lösungen (idealerweise Ringerlaktat, da RL den niedrigsten Natrium-Gehalt aufweist). Hypoalbuminämische Patienten (Alb < 20 g/l) weisen einen niedrigen onkotischen Druck auf, welcher mittels kolloidalen Infusionslösungen aufrechterhalten werden muss. Kolloide werden in diesem Fall in einer Dosierung von 1-2 ml/kg/h zusätzlich zur Erhaltungsdosis an Kristalloiden supplementiert.
Referenzen
Referenzen sind auf Anfrage erhältlich.