Lesen Sie die englische Übersetzung: Prevention of Dog Bite Injuries: Epidemiological Study, Prevention Concept
Einführung
Diese Präsentation soll die seit 1999 in der Schweiz und von verschiedenen Gruppen geleistete Arbeit für die Prävention der Beissunfälle erläutern: Bildung einer pluridisziplinären Arbeitsgruppe, Durchführung einer epidemiologischen Studie, Anwendung der Resultate in verschiedenen Präventionsaktionen, Evaluation der Effizienz der Präventionsmassnahmen, Entwicklung eines neuen Präventionskonzeptes für die Familien.
Die Hund-Mensch-Beziehung hat eine mehrere tausend Jahre alte Geschichte.1 Dank seiner fantastischen Anpassungsfähigkeit ist der Hund heute ein integrierter Bestandteil unserer Gesellschaft und spielt eine wichtige soziale Rolle. Für viele unter uns, Erwachsene und Kinder, ist er in erster Linie ein Wesen, das wir gerne haben, unersetzlich, ein einzigartiger Begleiter, der immer da ist und nicht urteilt. Allen voran sind es diese Eigenschaften, die ihn zum besten Freund des Menschen machen. Der Hund--bester Freund des Menschen, und gleichzeitig aber auch Raubtier und Nachfahre des Wolfes--ein Paradox, welches uns anhält, diese Beziehung neu zu überdenken.2
Hundebisse gehören zur Schattenseite der Mensch-Hund-Beziehung und es gilt, das Risiko von Hundebissen durch Prävention auf breiter Basis zu verringern. Ziel der Arbeit war es, mittels einer Erhebung medizinisch versorgter Hundebissverletzungen bei Hausärzten und in Spitälern, Hundebissopfer, unfallverursachende Hunde und Unfallsituationen zu beschreiben und damit Grundlagen für eine zielgerichtete Prävention zu schaffen.
Die Arbeitsgruppe Gefährliche Hunde (AGGH)3 initiierte eine epidemiologische Studie, welche die Grundlagen der Präventionsmassnahmen in der Schweiz lieferte. Die AGGH unterstützt Präventionsmassnahmen, die auf epidemiologischen und wissenschaftlichen Fakten beruhen und verwirft rassendiskriminierende Gesetzgebungen, unter anderem wegen des damit implizit verbundenen Risikos.4 Die in dieser Präsentation vorgestellten Arbeiten wurden durch Mitglieder der AGGH initiiert, durchgeführt oder aktiv unterstützt.
Epidemiologische Studie 5,6
Ziel dieser prospektiven Erhebung war es, die Anzahl der medizinisch versorgten Hundebissverletzungen zu beurteilen und mögliche Risikofaktoren zu bestimmen. Die Inzidenz medizinisch versorgter Hundebissverletzungen wurde auf ca. 180 pro 100'000 Einwohner pro Jahr hochgerechnet, was die Resultate einer früheren schweizerischen Studie7 bestätigt.
Opfer. Die Spitaldaten zeigten, dass Kinder doppelt so häufig Hundebissverletzungen erlitten als Erwachsene. Kinder, besonders Kleinkinder, wurden überwiegend am Kopf verletzt, Erwachsene an den Extremitäten.
Situationen. 82% der Kinder (0-4 Jahre) wurden anlässlich einer Interaktion mit dem Hund verletzt. Unfälle mit Interaktionen waren mehrheitlich Unfälle mit dem eigenen oder mit einem dem Opfer bekannten Hund.
Hunde. Kleine Hunde (< 10kg) waren unter den unfallverursachenden Hunden unterrepräsentiert. Kleine Kinder 0-4 Jahre wurden aber häufiger durch kleine Hunde verletzt als ältere Opfer [OR = 2.0 (CI 95% 1.1-3.7)]. Männliche Hunde bissen 2.9 mal so häufig wie weibliche Hunde (CI 95% 2.3-3.8). Hunde im Alter von 0-5 Jahren waren übervertreten (p < 0.05). Mischlinge und Hunde mit Rassebezeichnung (Rassetypen) waren im Rahmen ihrer Repräsentation in der Hundepopulation an Beissunfällen beteiligt. Die drei häufigsten Rassetypen in der Hundepopulation8 (Typ Schäfer / Typ Retriever / Schweizer Sennenhunderassen) waren die drei häufigsten Beissern. Unter den beissenden Hunden untervertreten war die Gruppe Retriever [OR = 0.6 (CI 95% 0.4-1.0)], wobei dies insgesamt, nicht aber für Bisse durch den eigenen Hund galt. Unter den beissenden Hunden übervertreten waren Hunde vom Typ Schäfer [OR = 2.3 (CI 95% 1.8-3.0)] und vom Typ Rottweiler [OR = 3.4 (CI 95% 2.2-5.4)].
Von der Epidemiologischen Studie zum Präventionskonzept
Die Studie Horisberger5,6 identifiziert Hundehalter, Züchter, sowie Kinder und deren Eltern als Zielgruppen einer effizienten Prävention von Hundebissverletzungen. Die Studie zeigt auf, dass Kinder, zusammen mit den Hundebesitzern, eine wichtige Risikogruppe darstellen. Ein Kind ist nicht nur auf der Strasse, sondern auch zu Hause der Gefahr ausgesetzt, durch den eigenen oder durch einen bekannten Hund gebissen zu werden. Jedes Mal, wenn ein Kind mit einem Hund alleine ist, befindet es sich in Gefahr.9 Es kann die Körpersprache des Hundes nicht verstehen, vor allem in Stresssituationen. Die Reaktion eines Kindes bei Unwissenheit (auch bei aggressiven Hunden) ist entweder Neugierde mit sich Annähern an den Hund, oder Angst, wobei es den Hund meidet, vor ihm flüchtet oder sich sogar blockiert; es handelt sich um genetisch fixierte Verhaltensmuster.10 Ein Kind kann nicht vorhersehen, was ein Hund tun wird. Es hat weder die analytischen noch die motorischen Fähigkeiten um eine Gefahrsituation schnell erfassen zu können, und um sich entsprechend zu verhalten.11 Dies umso mehr wenn es Angst oder Ekel empfindet.
Die Unfallursache kann häufig auf die Art der Interaktion zwischen Kind und Hund zurückgeführt werden; somit definiert die Art der Interaktion die Risikosituationen5,6, welche durch die Prävention gezielt angegangen werden sollen.
In der Schweiz hat die Prävention ein breites Publikum erreicht (2000-2004): durch eine gezielte Ausbildung der Tierärzte, Züchter12, Hundeausbildner und einzelner Behörden; durch Kurse und Vorträge für die Bevölkerung und für die Hundehalter; durch die Herausgabe von Broschüren für Hundehalter, Nichthundehalter und Kinder (Ich habe einen Hund13, Ich habe Angst vor Hunden14, Tapsi komm...15); durch das Präventionsprogramme für Kinder (PAB-CH); durch ein Kursobligatorium für Hundehalter (2008) zu den Themen Hundehaltung und Hundeerziehung (leider wurde die Lehre der Prinzipien der Prävention nicht in das Obligatorium eingeführt).
Tapsi, Komm... 15
"Tapsi, komm..." ist eine Broschüre, die sich an Kinder ab 4 Jahren (mit Hilfe der Eltern) richtet und zur Prophylaxe von Hundebissen entwickelt wurde. Sie basiert einerseits auf der umfangreichen Risikoanalyse5,6 und andererseits auf den Erfahrungen der PAB-CH Gruppe Bern. Evaluiert wurden, unter Miteinbezug von Kindern, die Zeichnungen, die Lesbarkeit, die Verständlichkeit, das Format und die Akzeptanz.16,17 Die Botschaften sind bewusst affirmativ gehalten, damit das Kind lernt, wie es sich in einer bestimmten Situation verhalten soll (und nicht, was es nicht machen soll).
Verschiedene situationen werden angesprochen:
Ich kenne den Hund: Bleib weg von ihm, ruf ihn mit seinem Namen, wenn Du ihn streicheln möchtest. Bleib weg von ihm und lass ihn in Ruhe, wenn er am Fressen ist oder wenn er in seinem Korb liegt. Wenn er knurrt oder seine Zähne zeigt, erzähl es einem Erwachsenen.
Ich kenne den Hund nicht: Frag ob Du den Hund streicheln darfst. Ist der Hund alleine oder angebunden, gehe ruhig an ihm vorbei ohne zu rennen.
Der Hund rennt auf mich los. Ich habe Angst: Sei still, bleibe ruhig, schau weg, halte die gestreckten Arme nach unten an deinen Körper gepresst(Statue).
Der Hund will etwas nehmen, das ich in der Hand halte: Lass es fallen! Bleib ruhig stehen, halte die Hände nach unten und schau weg (Statue).
Der Hund hat mich umgeworfen: mach ein "Päckli" und schütze deinen Kopf mit den Händen.
PAB-CH (Prevent-a-Bite Schweiz)
Dieses Präventionsprogramm für Kinder wurde von John Uncle (GB) entwickelt. Das Programm PAB wurde in den Neunzigerjahren in der deutschen Schweiz von der Gruppe L. Hornisberger eingeführt. Es wurde später als PAB-CH den spezifischen Bedürfnissen (unter anderem Alter und soziokulturelle Herkunft der Kinder) angepasst. Zielpublikum sind Kinder zwischen 7 und 11 Jahren (Primarklassen) und zwischen 4 und 6 Jahren (Kindergarten).
PAB-CH behandelt definierte Situationen und Interaktionen, die als Risikosituationen bekannt sind.5,6
Das Programm hat zwei vorrangige praktische Ziele: Dem Kind eine korrekte Kontaktaufnahme und das richtige Verhalten gegenüber einem Hund (bekannt oder fremd) zu lehren, und zum anderen das Verhalten im Falle von Bedrohung oder Aggression durch einen Hund einzuüben, so dass dem Kind eine Verbesserung seiner Kenntnisse und möglicherweise seiner Verhaltensweisen dem Hund gegenüber vermittelt werden kann.
Das Grundprinzip der Lektionen ist das Erlernen des richtigen Verhaltens in Schlüsselsituationen.
Abhängig vom Alter werden die Prinzipien zuerst mit Bildern gezeigt oder mittels eines Plüschhundes, Marionetten oder durch einen als "Wooly Woof"--Hund verkleideten Schauspieler, vordemonstriert. Danach üben die Kinder die gelernten Situationen in Rollenspielen. Echte Hunde treten erst in Aktion, wenn die AnimatorInnen die Klasse als genügend vorbereitet einschätzt.
Erste Priorität hat das Wohlergehen des Kindes. Kein Kind wird zu irgendetwas gezwungen--im Gegenteil: Das Konzept und die Räume erlauben, dass Kinder, welche den Hunden nicht nahe kommen wollen, das Geschehen aus Distanz verfolgen können. Ganz nach Lust und Laune und unter Berücksichtigung des eigenen Rhythmus können sie sich ins Rollenspiel miteinbringen und von den Vorteilen profitieren.
Das Wohlergehen des Hundes ist ebenfalls sehr wichtig und zu beachten, da Stresssituationen einen Unfall verursachen können.
Das PAB-CH Konzept ist gut definiert. Die Vorgaben für die AnimatorInnen sind streng und betreffen sowohl den / die HundeführerIn als auch den Hund. PAB-CH trägt deshalb auch zu einer verbesserten Integration des Hundes in die Gesellschaft und zu mehr Respekt vor dem Tier bei.
References
1. Teroni E, Cattet J. Le chien, un loup civilisé, ET & J.C. Auteurs Editeurs, Corsier, 2000, pp 314.
2. Pillonel C. Der beste Freund des Menschen--Mythos und Wirklichkeit, Pediatrica 12: 21-25, 2001.
3. AGGH http://www.svk-asmpa.ch/aggh/index.html
4. Bocion Ph. Bocion Ph., Chiens dangereux et mesures débattues, http://www.kleintiermedizin.ch/gtcd/pdf/Chiens_dangereux_et_mesures_debattues_3_2006.pdf
5. Horisberger U. Medizinisch versorgte Hundebissverletzungen in der Schweiz: Opfer-Hunde-Unfallsituationen, Inauguraldissertation, Universität Bern, 2002.
6. Horisberger, et al. The epidemiology of dog bite injuries in Switzerland--characteristics of victims, biting dogs and circumstances, Anthrozoos, 2004, Vol. 17, N. 4, pp. 320-339(20).
7. Matter HC. The epidemiology of bite and scratch injuries by vertebrate animals in Switzerland, European Journal of Epidemiology, 1998 14: 483-490.
8. Horisberger U, et al. Demographie der Hundepopulation in der Schweiz: Schweizer Archiv für Tierheilkunde, 2004, 146, 223-232.
9. Kahn A, et al. Child victims of dog bites treated in emergency departments: a prospective study, Eur. J Pediatr 2003, 162: 254-258.
10. Dehasse J. Tout sur la psychologie du chien. Odile Jacob, pp. 451-8, 2009.
11. Reinberg O. Les accidents d'enfants et d'adolescents: de l'analyse à la prévention, Revue médicale de la Suisse Romande 1995, 115: 863-867.
12. AGGH, Codex de l'éleveur, document, 2004, non publié.
13. Pillonel C. Moi qui ai un chien,Bundesamt für Veterinärwesen, 2003, Bern, première édition.
14. Pillonel C. Moi qui ai peur des chiens,Bundesamt für Veterinärwesen, 2003, Bern, première édition.
15. Pillonel C. Truf' viens.../ Tapsi, komm..., Bundesamt für Veterinärwesen, 2003, Bern, pp 28, première édition.
16. Pillonel C. Brochure de prévention des accidents par morsure de chien destinées aux enfants: étude descriptive et comparative de l'approche des illustrations par des enfants de 4 classes enfantines, Bundesamt für Veterinärwesen, 2003, non publié.
17. Pillonel C. Brochure de prévention des accidents par morsure de chien destinée aux enfants: étude descriptive et comparative de lisibilité, de compréhension et d'acceptabilité de la brochure "Truf' viens..." dans 3 classes enfantines des écoles de Bex, Bundesamt für Veterinärwesen, 2003, non publié.