Akute und chronische Pankreatitis bei der Katze - Diagnostische und therapeutische Überlegungen
Jörg M. Steiner, Dr.med.vet., PhD, DACVIM, DECVIM-CA
Lesen Sie die englische Übersetzung: Acute and Chronic Feline Pancreatitis - Diagnostic and Therapeutic Challenges
Einleitung
Eine Pankreatitis stellt eine Selbstverdauung und Entzündung des Pankreas dar. Die Häufigkeit der Pankreatitis bei der Katze wurde mit 0,6% angegeben. Neuere Studien lassen jedoch darauf schließen, dass die tatsächliche Häufigkeit der Pankreatitis weit unterschätzt wurde. In einer neueren Studie von 115 Katzen, die aufgrund von verschiedenen Primärerkrankungen verstorben waren, wurde nur bei 33% aller Pankreata keinerlei histopathologische Veränderungen gefunden, wogegen 16% Anzeichen einer akuten und 60% Anzeichen einer chronischen Pankreatitis aufzeigten.
Symptomatik
Pankreatitis, ob akut oder chronisch, kann sich klinisch ausgesprochen unterschiedlich äußern. Von Patienten mit einer subklinischen Verlaufsform bis hin zu Patienten, die multiples Organversagen entwickeln, besteht ein fließender übergang. Das klinische Bild von Katzen mit Pankreatitis ist sehr unspezifisch. Fast alle Tiere zeigen Lethargie und Anorexie. In schweren Fällen sind auch Dehydratation und Hypothermie häufig. Dagegen werden Erbrechen und Abdominalschmerz selbst in schweren Fällen nur in etwa 1/3 aller Fälle beobachtet. Ein abdominaler Masseneffekt, Dyspnöe, Diarrhöe und Ataxie kommen ebenfalls häufig vor. Allerdings ist bisher nicht bekannt ob der Durchfall direkt auf die Pankreatitis zurückzuführen ist, oder ob Durchfall vielmehr ein Symptom einer gleichzeitig auftretenden Darmerkrankung ist.
Diagnose
Befunde von Routineverfahren der Labordiagnostik sind bei der Katze unspezifisch für eine Pankreatitis. Das Blutbild zeigt bei etwa 30% der Tiere eine Leukozytose, aber bei 15% der Tiere eine Leukopenie. Die häufigsten Befunde bei Katzen mit Pankreatitis sind eine Erhöhung der ALT Aktivität bei 68% von 40 Katzen mit einer schwergradigen Pankreatitis. Hyperbilirubinämie, Hyperglykämie und Hypercholesterinämie wurden bei 64%, Azotämie bei 57%, Hypokalämie bei 56%, eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase bei 50% und eine Hypoalbuminämie bei 24% dieser Patienten beschrieben.
Die Röntgenologie kann bei Katzen mit Pankreatitis Veränderungen zeigen, wie eine verminderte Kontrastdarstellung im kranialen Abdominalbereich, dilatierte Darmschlingen und Lageveränderungen der abdominalen Organe. Diese Befunde sind jedoch sehr subjektiv und die Röntgenologie ist leider zur Diagnose einer Pankreatitis nicht geeignet. Allerdings lassen sich manch andere Differentialdiagnosen durch ein Röntgenbild des Abdomens ausschließen.
Die Ultraschalluntersuchung des Abdomens ist bei Erfahrung des Untersuchenden von größerem Nutzen. Pankreatitis zeichnet sich durch eine Vergrößerung des Organs, eine Verminderung der Echogenität (Pankreasnekrose) mit Erhöhung der Echogenität in der direkten Peripherie des Pankreas (Fettgewebsnekrose) oder seltener eine Erhöhung der Echogenität (Pankreasfibrose) und durch Flüssigkeitsansammlungen im peripankreatischen Bereich aus. Allerdings sollte festgestellt werden, dass eine Vergrößerung des Pankreas und/oder die Ansammlung von Flüssigkeit im Bereich des Pankreas zur Diagnose nicht ausreichen. Auch Veränderungen der Echogenität sind bei der heutigen Auflösung der Ultraschallgeräte nicht unbedingt beweisend. In einer neueren Studie wurden 2 von 3 Katzen ohne Pankreatitis mit einer solchen durch Ultraschall fälschlicherweise diagnostiziert.1 Dies belegt, dass sehr vorsichtig vorgegangen werden muss um Befunde nicht überzubewerten.
Mehrere Assays zur Diagnose von Pankreatitis bei der Katze sind beschrieben worden. Lipasen- und Amylasen-aktivität im Serum werden seit mehreren Jahrzehnten zur Pankreatitisdiagnose beim Hund herangezogen. Leider sind beide Assays bei der Katze zur Diagnose einer Pankreatitis weitgehend nutzlos. Die Messung der Trypsin-gleichen Immunreaktivität kann auch zur Diagnose von Pankreatitis bei der Katze herangezogen werden. Die Serum TLI Konzentration ist hochspezifisch für die exokrine Pankreasfunktion. Allerdings weist das TLI Assay nur eine Sensitivität von ca. 30-50% auf. Ein neues Assay zur Diagnose von Pankreatitis bei der Katze wurde beschrieben, pankreatische Lipase Immunreaktivität (PLI). Im Gegensatz zur Lipasenaktivität im Serum misst dieses Assay nur Lipase, die von Azinuszellen des exokrinen Pankreas synthetisiert wurde. Serum PLI ist hochspezifisch für die exokrine Pankreasfunktion und ist außerdem hochgradig sensitiv für eine Pankreatitis bei der Katze.1,2 Die fPLI Konzentration wird mittels dem Spec fPL® Test gemessen. Bei der Katze beträgt der Normalbereich 0,1 - 3,5 µg/L mit einem Schwellenwert von 5,4 µg/L zur Pankreatitisdiagnose.
Eine definitive Diagnose einer Pankreatitis ist derzeit nur durch die Durchführung einer Laparoskopie, einer Probelaparatomie oder im Zuge einer Obduktion möglich. Dabei sollte bedacht werden, dass eine Pankreatitis allein durch makroskopische Untersuchung des Organs offensichtlich diagnostiziert werden kann. Dagegen, ist der Ausschluss einer Pankreatitis beim Fehlen von makroskopischen Befunden äußerst schwierig. Das Entzündungsgeschehen kann sehr stark lokalisiert sein und eine Vielzahl von Bioptaten wäre notwendig um eine Pankreatitis definitiv auszuschließen.
Auch die zytologische Untersuchung einer Feinnadelaspiration des Pankreas kann zur Diagnose einer Pankreatitis herangezogen werden. Die Darstellung von Azinuszellen und Entzündungszellen in einem Ausstrich beweist die erfolgreiche Aspiration von Pankreasgewebe und legt eine Diagnose einer Pankreatitis nahe. Allerdings erfordert die Aspiration des Pankreas Erfahrung, sowohl bei der Ultraschalluntersuchung als auch der Aspiration von abdominalen Organen.
Therapie3
Schwere Verlaufsformen
Die Therapie der Pankreatitis hat drei Ziele: 1. die Entfernung oder Bekämpfung der Ursache, 2. die symptomatische Therapie und 3. die frühzeitige Erkennung und Behandlung von potentiellen systemischen und pankreatischen Komplikationen. Da viele Pakreatitisfälle idiopathischen Ursprunges sind, ist eine Behandlung der Ursache nur in den wenigsten Fällen möglich. Die Krankengeschichte sollte sorgfältig auf applizierte Pharmaka überprüft werden. Medikamente, die nicht zweifelsfrei indiziert sind, sollten abgesetzt werden.
Die klassische symptomatische Therapie für Tiere mit schwergradiger Pankreatitis besteht aus einer aggressiven intravenösen Flüssigkeitstherapie, anderweitiger metabolischer Unterstützung und analgetischer Medikation. Die aggressive Flüssigkeitstherapie muss mit einer kontinuierlichen Kontrolle der Elektrolytwerte im Serum einhergehen.
Entzug von Futter und Wasser basieren auf dem Ziel, das exokrine Pankreas so wenig wie möglich zu stimulieren. Allerdings zeigen jüngere Studien, dass die Nahrungsaufnahme zumindest beim Menschen und beim Hund nicht mit einer Verschlechterung der Erkrankung einhergeht. Nur bei Patienten die auch nach aggressiver antiemetischer Behandlung immer noch erbrechen, ergibt der Futter- und Wasserentzug einen Sinn. Da Erbrechen bei Katzen mit Pankreatitis nicht besonders häufig vorkommt ist ein Futterentzug nur in den allerwenigsten Fällen notwendig. Bei anorektischen Katzen sollten alternative Methoden der Alimentation erwogen werden. Dabei sollte, wenn möglich, der Patient über den Darm alimentiert werden. Jejunumsonden stimulieren die Pankreassekretion am geringsten. Allerdings ist die Legung einer solchen Sonde invasiv. Es ist daher wichtig festzustellen, dass bei Patienten, die nicht an häufigem Erbrechen leiden auch Nasenschlundsonden, Ösophagussonden oder Magensonden erfolgreich eingesetzt werden können.
Abdominalschmerz ist unter Umständen schwer feststellbar. Daher ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Katze mit Pankreatitis unter Abdominalschmerz leidet, auch wenn dies nicht offensichtlich ist. Als Analgetika kommen Meperidin, Butorphanoltartrat, Morphin, Fentanyl oder auch intraabdominal verabreichtes Lidocain (nur verdünnt) zur Anwendung.
Wie bereits angedeutet ist die erfolgreiche Behandlung des Erbrechens sehr wichtig. Dabei können entweder HT3-Antagonisten, wie Dolasetron oder Ondansetron oder NK1-Antagoniosten wie Maropitant eingesetzt werden.
Alle weiteren Therapeutika sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt hinsichtlich ihrer Wirksamkeit höchst umstritten. Der Nutzen der Antibiose, die von vielen Autoren empfohlen wird, ist durchaus fraglich. Es liegen keinerlei Studien vor, die einen günstigen Einfluss der Antibiose bei Pankreatitis bei der Katze aufzeigen. Auf der anderen Seite ist eine für den Patienten schädliche Verschiebung der Keimflora zugunsten von Keimen mit Multiresistenz möglich. Ausserdem muss bedacht werden, dass im Gegensatz zum Menschen, wo infektiöse Komplikationen einer Pankreatitis häufig vorkommen, diese bei der Katze äußerst selten sind.
Auch die Verwendung von entzündungshemmenden Substanzen hat sich als wenig hilfreich erwiesen. Für Antiacida sowie sekretionshemmende Substanzen, wie Anticholinergika, Calcitonin, Glucagon oder Somatostatin, konnte bisher ebenfalls keine Wirksamkeit nachgewiesen werden. Aprotinin, ein Proteaseninhibitor, hat sich in klinischen Versuchen beim Menschen als nicht wirksam erwiesen. Dies ist nach heutigem Wissensstand über die untergeordnete Bedeutung von pankreatischen Verdauungsenzymen bei der systemischen Fortsetzung der Pankreatitis wenig verwunderlich.
Eine Studie bei Hunden mit experimentell induzierten Pankreatitiden hat gezeigt, dass diese nach Aufbrauchen des α2-Makroglobulins schnell sterben. Eine positiver Einfluss von Plasma zur Substitution des α2-Makroglobulins konnte beim Menschen jedoch nicht nachgewiesen werden. Dennoch kann sich die Gabe von Plasma oder frischem Blut in schweren Verlaufsformen beim Hund als günstig auswirken. Bei der Katze gibt es allerdings diesbezüglich nur wenig Erfahrung, da Plasmaprodukte bei dieser Tierart noch nicht lange routinemäßig zur Verfügung stehen.
Dopamin hat bei Katzen mit experimentell induzierter Pankreatitis einen günstigen Einfluss, wenn es innerhalb von zwölf Stunden nach Induktion der Pankreatitis verabreicht wird. Allerdings ist eine Gabe innerhalb von zwölf Stunden nach Beginn einer Pankreatitis bei Spontanerkrankungen unrealistisch. Jedoch sollte die Gabe von Dopamin bei Tieren mit Pankreatitis im Vorbericht erwogen werden, wenn diese einer Anästhesie unterzogen werden müssen.
Milde Verlaufsformen
Milde Verlaufsformen einer akuten Pankreatitis kommen nur selten zur Diagnose. Dagegen werden Tiere mit milden Verlaufsformen einer chronischen Pankreatitis öfter vorgestellt. Dabei sollte bedacht werden, dass auch milde Verlaufsformen schwerwiegende Auswirkungen auf Gesundheit und Leben eines Patienten haben können. So kann eine milde chronische Pankreatitis zum einen zu exokriner Pankreasinsuffizienz und auch zu Diabetes mellitus führen. Zum anderen kann eine milde chronische Pankreatitis sich zu einer schwergradigen Verlaufsform ausweiten und so zu systemischen Erkrankungen und sogar zum Tod führen.
Wie bei schweren Verlaufsformen so sollte auch bei milden Verlaufsformen der Versuch unternommen werden, die Krankheitsursache zu identifizieren und zu bekämpfen. Daher sollten Katzen mit chronischer Pankreatitis routinemäßig auf eine Hyperkalzämie oder eine Hypertriglyzeridämie untersucht werden. Andere Patienten mit milder Pankreatitis leiden oft gleichzeitig unter einer entzündlichen Erkrankung des Darms (inflammatory bowel disease = IBD) oder der Gallengänge (chronische Cholangitis). Katzen mit IBD und Pankreatitis sprechen auf eine Behandlung mit Kortikosteroiden oft gut an. Darüber hinaus ist die Behandlung von milden Verlaufsformen einer Pankreatitis schwierig. Beim Menschen wurde in den letzten 10 Jahren eine neue Form chronischer Pankreatitiden beschrieben, die autoimmune Pankreatitis. In letzter Zeit wurde viel über ein eventuelles Auftreten von autoimmuner Pankreatitis bei der Katze spekuliert. Wissenschaftliche Daten sind bisher spärlich. Allerdings berichten mehrere Autoren über die wirksame Behandlung chronischer Pankreatitis mit Kortikosteroiden.
Prognose
Die Prognose für Katzen mit Pankreatitis hängt vor allem vom Vorkommen und Schweregrad von systemischen Komplikationen ab.
Literaturangaben
1. Forman MA, Marks SL, De Cock HEV, et al. Evaluation of serum feline pancreatic lipase immunoreactivity and helical computed tomography versus conventional testing for the diagnosis of feline pancreatitis. J Vet Int Med 2004; 18:807-815.
2. Williams DA, Steiner JM, Ruaux CG, Zavros N. Increases in serum pancreatic lipase immunoreactivity (PLI) are greater and of longer duration than those of trypsin-like immunoreactivity (TLI) in cats with experimental pancreatitis. J.Vet.Int.Med. 2003;17:445-446 (abstract).
3. Steiner JM. Exocrine pancreas. In: Steiner JM. ed. Small Animal Gastroenterology. Hannover: Schlütersche-Verlagsgesellschaft mbH, 2008;283-306.